Geschichte des Turnvereins Lauterbach/Hessen
Epoche von der Gründung bis zur Jahrhundertwende (1862 - 1900):
Die Gründung des Turnvereins e.V. 1862 erfolgte in der Lauterbacher Kleinstadt zur "körperlichen Ertüchtigung" und "Leibeserziehung der Bürger". Gemäß dem großen Turnervorbild Friedrich Ludwig Jahn, wurde der Turnerwahlspruch "Frisch, Fromm. Fröhlich, Frei" zum Symbol unseres Vereins-Buchstabenkreuzes. Die ersten 58 Gründer (ausschließlich Männer) unseres Vereins entstammten ehrwürdigen Familien des gehobenen Bürgertums aus Lauterbach. Turnen galt zunächst als eine Betätigung von erwachsenen Männern. Turnstunden für Knaben von 8-14 Jahre wurden erst ein gutes Jahrzehnt später "abgehalten".
Die positive Weiterentwicklung unseres Vereins führte aber dazu, dass sich Frauen und Kinder am Turnen beteiligen durften, wenn anfänglich auch technisch in veränderter Weise. Hartmann Stumpf komponierte 1881 den "Lauterbacher Turnermarsch". 1882 erkor man den Hainig als Ort der Kampfspiele (Preisturnen) und der Geselligkeit aus. Der Weckruf, der Aufmarsch der Turner, der frühe Festzug an einem kühlen, Sonne versprechenden Augustsonntag, die Blasmusik, all das gehörte zu Beginn des Hainigfestes einfach dazu.
Epoche des Wachstums bis zum Ende der Weimarer Republik (1901 - 1932):
Durch die steigende Mitgliederzahl und die Zunahme der Disziplinen musste ein moderne Turnhalle geschaffen werden. Die Adolf-Spieß-Turnhalle wurde im Jahre 1908 festlich eingeweiht. Adolf Spieß, geb. 1810, war Begründer des Schulturnens. Die Turnhalle war ganz im Geiste der Gründerväter ein Raum der Bildung. Er ermöglichte Geselligkeit, wie herbstliche Familienabende, nachdem das Abturnen geschehen war, Weihnachtsfeiern und zahlreiche karnevalistische Veranstaltungen der TuMaBa-Abteilung.
Im Jahre 1909 wurde eine Frauenriege innerhalb des Vereins aus der Taufe gehoben. Sie wurde von Männerturnwarten geleitet. Im Jahre 1925 fanden zehn Frauen wieder zu einem "Neuen" Anfang zusammen. Die Adolf-Spieß-Halle erlebte in dieser Zeit neben den sportlichen Aktivitäten noch sehr viel mehr. Im Ersten Weltkrieg war zum Beispiel jahrelang ein Lazarett untergebracht. Die Adolf-Spieß-Halle in ihrer Anfangszeit
Epoche des Niedergangs während der Nazi-Diktatur (1933 - 1945):
Die Turnhallte war für das Geräteturnen, das Kunstturnen, das Schulturnen und die Gymnastik ausreichend. In der Weiterentwicklung kamen schließlich in den dreißiger Jahren der Schwimmsport und die Leichtathletik hinzu. So lautete 1931 die Parole: "Jeder Turner ein Schwimmer!" und es entstand das städtische Freibad im Steinigsgrund. Zusätzlich wurde schon 1933 mit dem Sportplatz oberhalb der Turnhalle die größte Rundbahn im Altkreis Lauterbach, die Aschenbahn, in Angriff genommen. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wurde auch der Skisport mit einer neuen Abteilung in den Verein aufgenommen. Das Gymnastik- und Geräteturnen der Frauen fand seinen Höhepunkt beim Deutschen Turnfest 1938 in Breslau. In diesem Jahr sollte die Turnhalle auch als Getreidelager herhalten und gegen Kriegsende kamen hier Wehrmachtseinheiten unter.
Epoche des Neubeginns und Wiederaufbaus (1946 - 1960):
Nach 1945 diente die Turnhalle als Notaufnahmelager für die deutschen Ostflüchtlinge. Die Schäden an der Turnhalle wurden dadurch im größer. 1949 wurde die Reparatur des Daches notwendig, 1954 die Neugestaltung des Treppenhauses. Eine Renovierung von Grund auf wurde vorbereitet und kam erst 1987 zum Abschluss.
Epoche der Blützeit und Hochkunjunktur (1961 - 1980):
Die 60er Jahre begannen mit der Vorbereitung zur 100-Jahrfeier (1962) und dem Übereignungsvertrag der Adolf-Spieß-Turnhalle mit der Stadt. Bereits mit dem Rechnungsjahr 1971 stiegen die Kosten zur Unterhaltung der Adolf-Spieß-Turnhalle. 1974 war der Verein mit 400 aktiven Mitgliedern sehr aktiv und erfolgreich, musste aber mit Spendenaufrufen versuchen, die steigenden Kosten auszugleichen. Richard Aschenbach hatte 1974 das Rechner-Amt 11 Jahre geführt und übergab es Wolfgang Polster. 1976 wurde eine 100%ige Beitragserhöhung beschlossen.
1977 löste Walter Grunewald den langjährigen 1.Vorsitzenden Karl Baier ab. Karl Baier trat bereits 1924 als aktiver Sportler in den TVL, war 1938 im Vereinsführerstab und 1947 beim Wiederaufbau des TVL dabei, war 1960 2.Vorsitzender und ab 1963 1.Vorsitzender. Ein weiteres vereinsprägendes Mitglied war Hermann Möller. Er war 1912 bester Einzelturner, ab 1926 im Vorstand, 1938 Geschäftsführer und 1947 Neugründer, seit 1960 wieder im Vorstand. Karl Baier und Hermann Möller verstarben im Jahre 1980.
Zum Jahreswechsel 1980 berichtete der 1.Vors. Grunewald über 784 Mitglieder, wobei 444 Mitglieder aktiv waren. Hainigfeste, Familienabende und weitere sportliche und gesellschaftliche Aktivitäten verlangten viel ehrenamtliche Arbeit (unentgeltlich), die oft über das "vertretbare Maß" hinausging. Der Verein konnte mit dem neuen 1.Vors. Grunewald die große Leistungsfähigkeit und Blütezeit im Nachkriegsdeutschland erhalten und bewahren.
Im Jahre 1972 übernahm Walter Gottschling den weiblichen Turnnachwuchs. Die Schwimmabteilung des TVL wurde im Jahre 1950 durch Walter Grunewald neu aufgebaut. Junge Wasserratten im Schüleralter konnten für die Abteilung gewonnen werden und es wurde dreimal wöchentlich im Lauterbacher Freibad trainiert. Gleichzeitig besuchte man Wettkämpfe in Schlitz und Fulda und trug in Lauterbach Kreismeisterschaften aus. Durch Renovierungsarbeiten des Freibades im Steinigsgrund von 1964-1968 kam die Arbeit gänzlich zum Erliegen und musste wieder neu aufgebaut werden. Die Hallenbäder in Alsfeld, Schlitz und ab 1975 in Lauterbach eröffneten optimale Trainingsmöglichkeiten ganzjährig.
Die Handballabteilung beim TV Lauterbach wurde 1926 aus der Taufe gehoben. Gespielt wurde anfangs nur auf dem Großfeld gegen Mannschaften aus Alsfeld, Bad Salzschlirf und Hainzell. Die Fahrten zu den Auswärtsspielen wurden nicht selten auf offenen LKW's, den sogenannten Holzvergasern, bestritten und immer begleitet von einem großen Anhang. Im Herbst 1945 erwachte der Handball in Lauterbach wieder zu neuem Leben. Die Lauterbacher Handballer befanden sich damals in der Obhut des VfL und wechselten 1947 zum TV Lauterbach. Die Handballdamen wechselten 1949 vom VfL zum TV Lauterbach. Es ging auf und ab mit den Handballerfolgen. 1981 wurde die große Halle an der Wascherde eingeweiht, nachdem man vorher immer in der Eichberghalle gespielt hatte. 1984 bis 1985 waren es insgesamt 11 Handball-Mannschaften, die beim TVL spielten. So kam es schließlich 1986 und 1987 zur Meisterschaft.
Mitglieder der Sportabzeichen-Abteilung spielten Mitte der 60er Jahre in den Wintermonaten Volleyball in der Adolf-Spieß-Turnhalle. Das Interesse wuchs und man verspürte Lust, sich mit anderen Mannschaften zu messen. Allmählich entstanden in der Umgebung noch ein paar Mannschaften, und man konnte erstmals eine Hin- und Rückrunde ausspielen. Einige Jahre spielten die Lauterbacher damals schon regulär in der Kreisklasse mit und wurde auch mehrfach Bezirksmeister. Nur zum Aufstieg in die Hessenliga reichte es nie. Mit den Jahren bildete sich auch eine Frauenmannschaft, die 1981 ihren größten Erfolg als Hessenpokalsieger für Bezirksklasse- und Verbandsligamannschaften. In der Volleyballabteilung wurde von jeher auch großer Wert auf Geselligkeit und Pflege der Freundschaft gelegt.
Epoche der Baumaßnahmen, Krisen und Veränderungen (1981 - 2015):
Die 80er Jahre sind geprägt von Umbaumaßnahmen der Adolf-Spieß-Turnhalle und einer erneuten Vereinbarung mit der Stadt, wonach das bestehende Nießbrauchsrecht mit dem notariellen Vertrag vom 5.3.1962 erhalten bleiben soll. Der Turnverein hatte sich inzwischen mit den Unterhaltungskosten der Adolf-Spieß-Turnhalle zu 50 Tsd. DM verschuldet. Der Verein war aber immer noch in seiner Hochphase mit steigender Mitgliederzahl und dank unermüdlicher Helfer und Übungsleiter auch sportlich sehr erfolgreich. Heinrich Listmann in der Leichtathletikabteilung und Walter Gottschling als Turnwart hatten in dieser Zeit ihre besonderen Verdienste und Erfolge. Walter Grunewald als 1.Vorsitzener führte von 1977 bis 1994 den Verein.
Am 9.11.1983 bildeten sich die "Mittwochsturnerinnen", die sich für Berufstätige und Mütter zuständig fühlten. Auch "Montagsturnerinnen" gründeten Ihre Gruppe. Das Programm reicht von langsamer Aufwärmgymnastik über konzentrierte Übungen zur Dehnung und Stärkung aller Muskelbereiche bis hin zu abschließenden cool-down-Übungen. Die Männerwelt entwickelte sich offenbar mehr zu anderen Sportarten und zu Sportarten im Freien, wie die Leichtathletik. Im Jahre 1882 wurde das Hainigfest geboren mit den Wettkämpfen auf unserem Hausberg. Die Leichtathletik nach dem letzten Krieg mußte wieder neu aufgebaut werden, wozu in erster Linie der Name Werner Pontow genannt werden muss.
Vor Erbauung des Sportplatzes an der Adolf-Spieß-Turnhalle trainierten unsere Leichtathleten auf dem Schützenplatz vor den Toren Lauterbachs. Ab 1935 konnte dann der Sportplatz mit Aschenbahn genutzt werden. 1960 wurde die Anlage gründlich überholt, aber 1983 beim Hessentag durch Witterungsunbill total zerstört und danach nur mäßig wieder repariert. 1980 bis 1983 war die Leichtathletik-Abteilung ohne Führung bis schließlich 1983 Heinrich Listmann einstieg und aufbauen musste. Ihm gelang es mit viel Idealismus zum Erfolg zu kommen. Der TVL konnte mit der zahlenmäßigen Absolvierung der Sportabzeichen mit an der Spitze in Hessen stehen und ist zur Belobigung vom Landessportbund Hessen für hervorragende Arbeit mit Geldprämien belohnt worden. Nicht vergessen dürfen wir natürlich die unverzichtbaren "Kampfrichter", ohne die die Durchführung der Veranstaltungen kaum möglich wäre.
Die Abteilung Badminton wurde 1983 von Peter Bruckmeier gegründet und als eigenständige Abteilung in den Turnverein eingegliedert. Während erste Aktivitäten ganz im Zeichen des Breitensportes standen, bildeten sich schnell eine Handvoll Spieler, die diesen Sport wettkampfmäßig betreiben wollten. 1985/86 gab es bereits zwei Senioren-Mannschaften und 1986/87 erstmals Erfolge mit einem Platz im Mittelfeld. 2008 wurden dann von Stefan Lott und Torsten Burkart das Training für die Jugend reaktiviert und seit 2013 nehmen die Badmintons erfolgreich an der Hobbyliga teil, mit der die Zukunft des Badminton-Sports erfolgreich weiter geführt wird.
"Der TUMABA, der TUMABA, das ist das schönste Fest im Jahr ...", so heißt es seit 1947 immer wieder jedes Jahr in der Kampagne. Pünktlich zum 11.11. um 20.11 Uhr beginnt die "tolle" Zeit und hat sein Ende am "Aschermittwoch". Der "Onkel Karl" (Karl Stiehler) war eine herausragende Persönlichkeit, die den TUMABA prägte.
In den 90er Jahren setzen sich die Ermüdungserscheinungen des Vereins fort, die in den 80er Jahren begonnen haben, und die routinemäßigen Arbeiten sind nur noch schwer mit dem freiwilligen Personal fortzuführen, d.h. die langjährigen ehrenamtlichen Helfer und Idealisten des Vereins lassen sich nicht mehr erneuern. So gibt der Vorstand zum Weihnachtsschreiben 1993 zu bedenken: "Schon wieder ist ein Jahr vorbei. Rückblickend aus der Sicht des Vereins muss dabei festgestellt werden, dass die Zeiten schwieriger geworden sind. Auch die Zukunftsaussichten können keine bessere Hoffnung machen, insbesondere was die finanzielle Seite betrifft. Die Vereinsarbeit wird deshalb sicher nicht einfacher werden."
1998/1999 hat die sich abzeichnende Existenzkrise den Verein voll erfasst und die finanzielle Situation ist katastrophal, d.h. nur noch mit Hilfe der Stadt in den Griff zu bekommen. Bei der Jahresversammlung am 23.06.1999 erklären sich Peter Vogelbacher und Gerhard Beetz bereit, in den krisengeschüttelten Turnverein im Vorstand aktiv mitzuarbeiten. So muss der neugewählte Schatzmeister sich erst einmal orientieren und Bestandsaufnahme machen. Dabei treten Altschulden zutage, die erst im Laufe des Jahres sichtbar werden. In der Bilanz 1999 wird ein Schuldenstand von 64 Tsd. DM ausgewiesen, wobei von der Stadt eine Ausfallbürgschaft mit 65 Tsd. DM gewährt wurde.
Ab dem 01.01.2000 übernimmt Dr. Köhler-Hälbig die Funktion des 1.Vorsitzenden und mit dem 1.Geschäftsführer Peter Vogelbacher und dem 1.Schatzmeister Gerhard Beetz geht es in die Verhandlungen mit der Stadt, um eine Sanierung des Vereins in die Wege zu leiten. Mit der Einstellung des Hausmeisters Dieter Otterbein zu 25 Wochenstunden und der Übernahme der Stadt dieser Lohnkosten zu 100%, sowie der Übernahme von 1/3. der Unterhaltungskosten von Halle und Platz kann die Sanierung des Vereins recht schnell gelingen. Durch Beitragserhöhung ab 01.01.2001 (100 DM Erw., 150 DM Ehep., 75 DM Kinder) und Sparmaßnahmen hat der Verein Ende 2004 wieder ein Eigenkapital von knapp 6 Tsd. Euro, jedoch es kommt erneut zu einer Krise, nämlich der HSG-Krise, die den Verein mit ca. 30 Tsd. Euro belasten wird und der Verein von seinen Mitgliedern ein Privatdarlehn von 21 Tsd. Euro nimmt. In der Versammlung am 6.6.2008 wird aufgrund der HSG-Krise eine Beitragserhöhung ab 2009 (60 € Erw., 85 € Ehep., 40 € Kinder) beschlossen. So kommt es Ende des ersten Jahrzehnts im 21.Jhtd. wieder zum finanziellen Engpass und in dieser Situation kündigt die Stadt Lauterbach den Nutzungsvertrag vom 20.06.1986 zum 31.12.2009.
In dieser Krisensituation musste gehandelt werden. Es kommt zu einer Notlösung mit der Stadt durch einen neuen Vertrag, wo die Stadt sich durch eine Pauschale von 30 Tsd. Euro im Jahr weiteren Kosten entledigen will. Ab dem Jahr 2010 stellt sich heraus, dass die 30 Tsd. Euro von der Stadt zu wenig sind und die Hallenkosten enorm ansteigen und bis zu Zweidrittel der Beitragseinnahmen betragen. Es bleibt also für die eigentliche Arbeit der sportlichen Aufgaben wenig Geld und wenig Zeit übrig. Durch Sparzwänge ist die Stadt plötzlich nicht mehr bereit, dem Verein weiterhin die 30 Tsd. Euro Zuschuss für die Unterhaltung der Turnhalle zur Verfügung zu stellen und kündigt erneut den Vertrag zum 31.12. 2014.
Nun bleibt dem TVL mit einer AO-Versammlung vom 31.10.2014 nichts anderes mehr übrig, als die Aufgabe des Nießbrauchrechts zu beschließen, was zum 28.02.2015 vollzogen wird.
Für den TVL beginnt ab dem 28.02.2015 eine neue Ära in seiner Geschichte ohne die legendäre Adolf-Spieß-Turnhalle, die nun vollständig von der Stadt (in den kommenden 30 Jahren) verwaltet wird. Kostenlose Trainingsmöglichkeiten wurden ohnehin schon vorher mit kreiseigenen Hallen zur Verfügung gestellt.